Pressemitteilung des Augsburger Klimacamps am 13.11.2023

Pimmelgate Süd und Reese-Bäume: lang erwartetes Gerichtsverfahren morgen

Korrektur (13.11. 8:49): Gericht teilte mit, dass die Verhandlung auf einen späteren Termin verschoben wird.

„Wenn es nach der Staatsanwaltschaft geht, soll ich mehr als 10.000 Euro Strafe zahlen“ – dagegen legte Mathematik-Student Alexander Mai (27) Einspruch ein und hofft am morgigen Dienstag auf ein ähnliches Urteil, wie es sein Mitstreiter Ingo Blechschmidt (35) erst vergangene Woche erhielt. Für Baumhausprotest im Forst Kasten ließ das Münchner Amtsgericht alle Anklagepunkte fallen [A,B]. Aus Sicht von Unterstützer*innen des Klimacamps versucht die Augsburger Staasanwaltschaft, friedlichen Protest zu kriminalisieren. Zuvor gab es mehrere Verfahren unter anderem gegen Blechschmidt, Charlie Kiehne (21), Samuel Bosch (20) und Ute Grathwohl (50) [C,D,E,F]. Nun steht zum ersten Mal Verkehrswende-Aktivist Mai vor Gericht.

Um vier Anklagepunkte wird es morgen gehen: der vor einem Jahr als „Pimmelgate Süd“ bekanntgewordene Fall [G], in dem auf einen Zeitungslink auf Facebook hin eine aus Sicht von Mai überzogene Hausdurchsuchung folgte; Veröffentlichung von Mai ausgehändigten Dokumenten aus ebenjenem Fall; Kletterprotest bei den Reese-Bäumen; und ein neuer Fall im Zusammenhang der von Mai in den Jahren 2020 und 2021 verfassten Stadtrats- und Ausschussprotokolle.

[A] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/forst-kasten-neuried-amtsgericht-muenchen-klimaproteste-ingo-blechschmidt-1.6301572
[B] https://www.merkur.de/lokales/wuermtal/neuried-ort29132/verfahren-gegen-baumbesetzer-eingestellt-92665100.html
[C] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/augsburg-klimaaktivisten-scheitern-mit-berufung-und-muessen-in-den-arrest-id68217581.html
[D] https://www.schwaebische.de/regional/oberschwaben/ravensburg/samuel-bosch-und-charlie-kiehne-rechtskraeftig-verurteilt-1986484
[E] https://www.suedkurier.de/region/bodenseekreis/bodenseekreis/nach-berufung-gericht-verurteilt-ravensburger-klimaaktivisten;art410936,11761080
[F] https://www.augsburger-allgemeine.de/schwabmuenchen/koenigsbrunn-nach-rathauseklat-geldstrafe-und-hilfsstunden-fuer-klimaaktivisten-id68242076.html
[G] https://www.pimmelgate-süd.de/

Zu klein für öffentliches Interesse, aber nicht zu klein für die Augsburger Staatsanwaltschaft?

„Zu klein für öffentliches Interesse“, titelte die taz [1], nachdem die Hamburger Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen einen Familienvater, der Innensenator Andy Grote auf Twitter als „Pimmel“ bezeichnet hatte, ohne Sanktion und ohne Gerichtsverhandlung eingestellt hatte. Der Augsburger Mathematik-Student und Verkehrswendeaktivist Alexander Mai (27) dagegen muss sich am morgigen Dienstag (14.11., 8:30 Uhr, Amtsgericht Augsburg, Gögginger Str. 101) einer solchen Gerichtsverhandlung stellen, nachdem er auf Facebook einen Zeitungsartikel zu dem „Hamburger Pimmelgate“ verlinkt hatte [3d,3f]. Auch die New York Times berichtete schon über die Posse [2].

Bekannt wurde der Fall, nachdem die Abteilung „Staatsschutz“ im April vergangenen Jahres mit einer Hausdurchsuchung in den intimen Schutzbereich der Wohnung von Mai eindrang und mit der Begründung, die Urheberschaft des fraglichen Artikellinks feststellen zu wollen, seine technischen Geräte konfiszierte. Die Bayerische Staatsregierung rechtfertigte dieses Vorgehen nach einer Kleinen Anfrage der Grünen im Landtag damit, dass „der Beschuldigte nicht geständig war“ [3, Seite 5 unten]. Mai kann das nicht nachvollziehen, schließlich war er auf Facebook unter seinem vollen Namen unterwegs, wurde anders als beim Hamburger Pimmelgate nicht im Vorfeld von der Polizei vernommen und bestritt nie die Urheberschaft seines Zeitungslinks. Er vermutet, dass die Abteilung „Staatsschutz“ den Anlass nutzte, um Zugriff auf die vertrauliche IT-Infrastruktur der Augsburger Klimagerechtigkeitsbewegung zu nehmen. Mai kündigte an, dass er diesbezüglich im Gerichtssaal ein neues Beweismittel enthüllen werde.

Die New York Times wurde auf den Fall aufmerksam, nachdem Mai erklärt hatte, dass ihm sein Recht, während der Durchsuchung eine Anwältin anzurufen, verwehrt wurde. Die Abteilung „Staatsschutz“ der Augsburger Polizei verwarf indes zwei von Mai diesbezüglich gestellte Dienstaufsichtsbeschwerden mit der Behauptung, dass ihm ein polizeiliches Dienstgerät für den Anwaltsanruf zur Verfügung gestellt worden sei. Tatsächlich berichtete die Süddeutsche aus dem polizeilichen Durchsuchungsprotokoll [3f], Mai sei „unzufrieden damit, dass er für die Dauer der Maßnahme nicht telefonieren darf“. Als Aktivist*innen aus Mais Umfeld die Unregelmäßigkeiten dieser Hausdurchsuchung öffentlich machen wollten und dafür das ihm ausgehändigte Durchsuchungsprotokoll veröffentlichten, wurde ihm „Veröffentlichung geheimer Gerichtsdokumente“ vorgeworfen und ein weiteres Verfahren angestrengt [3b,3e]. „Aktivisten werden zunehmend wie Schwerverbrecher behandelt. Und wenn wir das den Leuten zeigen wollen, dann werden einfach größere Geschütze gegen uns aufgefahren“, so seine Mitstreiter*innen. Auch Amnesty International schlägt bereits Alarm über den Zustand in Deutschland [3c], setzte es auf seine internationale Ächtungsliste.

Wie der Fall vor Gericht ausgeht, ist offen. Im Hamburger Original kam es nicht einmal zu einer Anklage, alle Vorwürfe wurden von der Generalstaatsanwaltschaft zu den Akten gelegt. Die Augsburger Staatsanwaltschaft ist aber für ihren Nimbus besonderer Strenge bekannt, führte etwa auch schon Razzien in den Verlagsräumen der Augsburger Allgemeinen [4] und dem Bastlerverein „OpenLab“ durch [5] (dessen Schwesterverein „Das Habitat“ am Samstag mit dem Augsburger Zukunftspreis ausgezeichnet wurde [6]). Diese Übergriffe wurden später gerichtlich für rechtswidrig erklärt [7,8]. Für Verwicklungen in CSU-Korruptionsskandale sieht sich die Augsburger Staatsanwaltschaft öffentlicher Kritik ausgesetzt [9].

[1] https://taz.de/Pimmelgate-Verfahren-eingestellt/!5871270/
[2] https://www.nytimes.com/2022/09/23/technology/germany-internet-speech-arrest.html
[3] https://toni-schuberl.de/fileadmin/Speicherplatz/bayern/personen/toni-schuberl.de/Schriftliche_Anfragen/Schriftliche_Anfragen_2022/Augsburger_Pimmelgate_-_Grenzen_der_Beleidigung_bei_Politikern.pdf [3b] https://www.klimacamp-augsburg.de/pressemitteilungen/2022-08-02-so-reagiert-die-polizei-auf-pimmelgate-sued/
[3c] https://www.fr.de/politik/klimaaktivisten-amnesty-international-deutschland-versammlungsfreiheit-repression-proteste-liste-zr-92528884.html
[3d] https://netzpolitik.org/2022/augsburg-pimmel-kommentar-fuehrt-zu-razzia-bei-klimaaktivisten/
[3e] https://netzpolitik.org/2022/pimmelgate-sued-augsburger-polizei-ueberzieht-klimaaktivisten-mit-weiterem-verfahren/
[3f] https://www.sueddeutsche.de/bayern/augsburg-pimmelgate-klimacamp-polizei-1.5566562
[4] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Beleidigter-Referent-Polizei-beschlagnahmt-in-Redaktion-Daten-eines-Foren-Nutzers-id23659806.html
[5] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Kommentar-Staatsschutz-durchsucht-Augsburger-Open-Lab-Eine-fragwuerdige-Aktion-id51557846.html
[6] https://www.augsburg.de/buergerservice-rathaus/rathaus/preistraeger-und-preise/zukunftspreis
[7] https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Fall-Ullrich-Landgericht-Beschlagnahme-in-AZ-Redaktion-war-rechtswidrig-id24527696.html
[8] https://netzpolitik.org/2018/gericht-urteilt-durchsuchung-bei-zwiebelfreunden-war-rechtswidrig/
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsanwaltschaft_Augsburg#%C3%96ffentliche_Kritik_an_der_Arbeitsweise

Friedlicher Kletterprotest: Anklageeinstellung wie beim Forst Kasten?

„Leerstand verwenden, Rodungswahn beenden! Bestandsbauten sanieren, Altbaumbestand integrieren“. Unter diesem Motto klettern am 10.10.2022 Aktivist*innen des Augsburger Klimacamps auf drei der insgesamt 57 schließlich gefällten Bäume auf dem Reese-Areal, nachdem sie am Vortag durch eine Anwohnerin wegen der vorgezogenen Rodungsarbeiten um Hilfe gebeten wurden. Für ein CO2-intensives Neubauprojekt – das auch jetzt ein Jahr später noch nicht begonnen hat – wurde aus Bequemlichkeit zunächst jeder Baum gefällt, anstatt sie in die Planungen einzubetten, findet Mai. Die vielfältigen Gründe dieser Aktion wurden in einer Pressemitteilung des Klimacamps dargelegt [10] und in mehreren Medienberichten rezipiert [11-16].

„Wir sind enttäuscht vom Kurs der städtischen Wohnbaugruppe“ moniert Klimacamp-Unterstützerin Ute Grathwohl (50), die am Tag der Aktion zugesehen hat. Denn noch am Tag der Aktion suggerierte der Geschäftsführer der Wohnbaugruppe (WBG) vor Ort der anwesenden Presse, von einem Strafantrag abzusehen. „Vertreter der Wohnbaugruppe reden immer viel von Baumerhalt und Klimaschutz. Wenn es aber darum geht, zu handeln, werden engagierte Mieter*innen bei Balkonkraftwerken gebremst und friedlicher Aktivismus verfolgt. Unsere Justiz und Polizei kostet das nur wieder Zeit und Geld“, so Grathwohl.

„Wie wir es auch planten, haben wir die Rodungsarbeiten nicht gestört. Wir hatten gehofft, dass rechtzeitig jemand von der WBG den von uns erzeugten Presserummel nutzt und sich vor Ort als Baumretter profiliert“, erklärt der Mathematiker Alexander Mai (27), wieso er kurzzeitig auf einen Baum kletterte. Die Aktivisten wussten, dass auch ein kleinerer Maßstab reicht, um große Änderungen zu bewirken.

Wenige Wochen zuvor erreichten Aktivist*innen des Klimacamps, dass der Stadtrat sein Rodungsvorhaben bei den 44 Bäumen am Bahnhofsvorplatz überdenkt [17]. Den Ausschlag gab ein Kletterworkshop am 01.08.2022 [18,19], nachdem sachkundige Stimmen von Expertengruppen wie der „Baum-Allianz“ und „Augsburg in Bürgerhand“ lange nicht ausreichend Beachtung fanden. Die Bäume seien nicht erhaltenswert, behauptete dagegen das Stadtplanungsamt. Ein Jahr später bestätigt jedoch ein neues Guthaben das Gegenteil [20]. Ein weiteres Argument der Regierungskoalition war, dass die Rodung der Bäume einen unveränderbaren Teil des Siegervorschlags darstellt, der aus einem Wettbewerb zur Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes hervorging. Nach Anfrage beim Architekturbüro stellte sich jedoch heraus, dass der ursprüngliche Plan die meisten Bäume mit einbezog und erhalten würde, dann aber von städtischer Seite in seine baumlose Form gebracht wurde.

Ein weiteres Beispiel ist der Münchner Forst Kasten, der unter Beteiligung Augsburger Aktivist*innen gerettet werden konnte. Auch auf diesen Protest folgten Ordnungswidrigkeitsvorwürfe und Anzeigen. Vor wenigen Tagen dann feierte Mais Mitstreiter Ingo Blechschmidt (35) Erfolg vor Gericht – Richter Robert Grain vom Münchner Amtsgericht stellte fest [21,22]: „Ich will dieses Verfahren ohne Sanktion einstellen, weil es ein friedlicher und erfolgreicher Protest gewesen ist. Man kann es nicht anders sagen.“

„Auch kleine Baumkletteraktionen wirken und bringen das eine oder andere scheinbar unveränderbare behördliche Rodungsvorhaben ins Wanken. Deswegen wird auch in Zukunft Protest nötig sein und uns eine bessere Zukunft ermöglichen“, so Mai.

Übrigens: Bei der neuen Firmenzentrale der WBG, keine 250 Meter südlich von den 57 gefällten Reese-Bäumen, wurden alle umliegenden, schattenspendenen Bäume behalten. „Die einfachen Leute in den Neubauten beim Reese-Areal hingegen werden in der Sommersonne brutzeln und ihren Baumpflanzungsexperimenten beim Sterben zusehen können“, so Mai.

[10] https://www.klimacamp-augsburg.de/pressemitteilungen/2022-10-10-baumbesetzung/
[11] https://web.archive.org/web/20221121013704/https://www.br.de/nachrichten/bayern/klimacamp-aktivisten-besetzen-baeume-in-augsburg,TJprUnj
[12] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/augsburg-reese-areal-klimacamp-protestiert-mit-baumbesetzungen-gegen-faellungen-id64200876.html
[13] https://www.sat1.de/serien/17-30-sat1-bayern/videos/augsburg-klimacamp-aktivisten-besetzen-baeume
[14] https://www.augsburg.tv/mediathek/video/a-tv-kompakt-messerattacke-vor-bar-in-augsburg/
[15] https://www.daz-augsburg.de/90798-2/
[16] https://radioschwaben.de/nachrichten/augsburg-aktivisten-besetzen-baeume/
[17] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/augsburg-baeume-am-bahnhofsvorplatz-sollen-gefaellt-werden-kritik-vom-klimacamp-id63507481.html
[18] https://www.klimacamp-augsburg.de/pressemitteilungen/2022-08-01-staatsschutz-bei-kletterworkshop/
[19] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/augsburg-baeume-am-bahnhofsvorplatz-sollen-gefaellt-werden-kritik-vom-klimacamp-id63507481.html
[20] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/augsburg-doch-kein-kahlschlag-baeume-am-bahnhofsvorplatz-haben-eine-zukunft-id68448046.html
[21] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/forst-kasten-neuried-amtsgericht-muenchen-klimaproteste-ingo-blechschmidt-1.6301572
[22] https://www.merkur.de/lokales/wuermtal/neuried-ort29132/verfahren-gegen-baumbesetzer-eingestellt-92665100.html

Hinweise

Wie in einer Pressekonferenz des Klimacamps vom 26.10.2023 (https://www.klimacamp-augsburg.de/pressemitteilungen/2023-10-26-Erklaerung_zur_Zukunft_des_Augsburger_Klimacamps/) bereits angedeutet wurde, steht für Augsburg mehr als nur der Ruf der Augsburger Staatsanwaltschaft auf dem Spiel. Sollte friedlicher und symbolischer Protest – der bislang gezielt Problemstellen adressiert, statt unbeteiligte Dritte in ihrem Privatleben zu stören – weiter durch Repression unmöglich gemacht werden, so werden sich neue Protestgruppen in Augsburg finden müssen.

Ursprünglich sollte sich auch Blechschmidt am Dienstag für die Aktion bei den Reese-Bäumen verantworten. Dieser zog angesichts der vergangenen Verfahren seinen Einspruch zurück, um den aktuellen „Bestrafungsfantasien der Staatsanwaltschaft“, wie sie im Klimacamp genannt werden, zu durchkreuzen. So gilt wieder, was die Staatsanwaltschaft lange vor Beginn ihres „Haftstrafenhagels“ forderte (Geldstrafe).