Offene Antwort auf offenen Brief von Umweltreferent Reiner Erben

Lieber Herr Erben,

vielen Dank für Ihren offenen Brief.

Wir möchten Sie zunächst um Entschuldigung bitten. Oberbürgermeisterin Weber ließ uns taktisch in dem Glauben, dass es sie gewesen sei, die nach unserem Gespräch mit ihr am 2.12.2020 das Klimaschutzsofortprogramm ausarbeitete. Inzwischen wissen wir, dass das Klimaschutzsofortprogramm vom 17.12.2020 vor allem Ihrer Feder und der Fachkompetenz anderer Grüner entstammt. Das möchten wir hiermit ausdrücklich würdigen.

In der Sorge, dass das Programm sonst verworfen werden könnte, sicherten wir Frau Webers persönlichem Referenten eine lobende Pressemitteilung zu, bei der Sie aufgrund der von Frau Weber vorgetäuschten Urheberschaft Sie unerwähnt blieben. Das tut uns leid. Wir werden zukünftig mit solch listigem Vorgehen nun eher rechnen und Frau Weber stärker misstrauen müssen.

Wenn wir gewusst hätten, dass das Klimaschutzsofortprogramm Ihrer Feder entstammte und so oder so, unabhängig von unserer Positionierung, in den Stadtrat eingebracht worden wäre, hätten wir das Programm einerseits stärker und damit ehrlicher kritisiert und andererseits den Vorstoß von Ihnen und den Grünen deutlich honoriert.

Außerdem möchten wir anerkennen, dass Sie derzeit mit Corona keine leichte Zeit haben. Der persönliche Angriff auf Sie im AZ-Kommentar dazu war unangemessen und spiegelte nicht wieder, dass es strukturelle Gründe dafür gibt, dass in Deutschland momentan kein*e Gesundheitsamtchef*in gut wegkommt.

Liebe Aktive im Klimacamp,

Liebe Aktive bei Fridays for Future Augsburg,

über den Tenor der Pressemitteilung vom 16.01.2021 “Klimacamp besteht 200 Tage” bin ich erstaunt. Ich möchte mich – auch im Namen der Oberbürgermeisterin – nicht rechtfertigen und aufzählen, wie oft unterschiedliche Vertreter*innen der Stadt schon mit dem Klimacamp gesprochen haben.

Wir freuen uns, dass die Stadt nicht gerne als Klimazerstörer dastehen möchte. Unsere Messlatte ist die Umsetzung von konkreten und ernstzunehmenden Klimagerechtigkeitsmaßnahmen. Die wurden nicht in einem der Klimakrise angemessenen Umfang ergriffen: Allein seit Beginn des Klimacamps am 1. Juli 2020 wurden 15 % des uns bei wohlwollender Rechnung noch übrigen CO₂-Budgets verbraucht, das uns seit dem 1. Juli 2020 noch zur Verfügung steht. Um das Restbudget von 9,7 Millionen Tonnen CO₂ einzuhalten, müssen mittlerweile jedes Jahr im Vergleich zum Vorjahr 19 % der Emissionen eingespart werden! Hätten wir früher begonnen, wäre die nötige Reduktion deutlich niedriger. Je länger wir jetzt warten, desto größer wird sie.

Das erfordert gewaltige strukturelle Veränderungen wie den massiven Ausbau des ÖPNV sowie seine radikale Vergünstigung, die Errichtung eines sicheren und komfortablen durchgängigen Radwegenetzes; den sofortigen Ausstieg der Stadtwerke aus der Kohleverstromung, die Freigabe von Flächen zum Windradbau, die Installation von Solarzellen auf allen städtischen und privaten Gebäuden, die nicht denkmalgeschützt sind, die Reaktivierung des Tarifs „Power@Home“ der Stadtwerke; den Schutz der vor Rodung bedrohten Wälder in Augsburg und der unmittelbaren Umgebung; und viele andere mehr.

Ein Plan für diese strukturellen Änderungen liegt aktuell nicht vor.

Fast alle genannten Maßnahmen liegen im direkten Wirkungskreis der Stadt Augsburg. Die Stadt darf nicht zurückscheuen, Haushaltsmittel dafür in die Hand zu nehmen und, falls nötig, bei der Regierung von Schwaben die Aufnahme von Schulden zu beantragen. Mit jedem Jahr, das wir ohne Beginn dieser strukturellen Änderungen verstreichen lassen, wird die Klimakrise weiter angeheizt und die Folgekosten für die Stadt Augsburg steigen immer weiter an. Augsburg muss beginnen, Klimaschulden zurückzuzahlen statt wie bisher jedes Jahr neue anzuhäufen!

Für die Maßnahmen, die nicht im Wirkungskreis der Stadt liegen oder Förderung durch Bund und Land benötigen, muss sich die Stadt massiv und mit aller Kraft für eine Änderung der Rahmenbedingungen einsetzen. Dies muss nicht nur innerhalb der zuständigen Gremien, sondern auch parteiintern und öffentlichkeitswirksam erfolgen. Auch diesen Prozess nehmen wir bisher nicht wahr.

Ich will auch nicht kritisch auf die genannten Beispiele aus anderen Kommunen eingehen, die sich bei genauerem Hinsehen vielleicht als gar nicht so wegweisend herausstellen, wie es zunächst scheinen mag.

Darauf hätten Sie ruhig eingehen können: Was die Klimagerechtigkeitsmaßnahmen anderer Städte angeht, sind wir weniger informiert, und in der Eile der Pressemitteilungsverfassung machten wir Fehler und waren wir nicht hinreichend kritisch. Wir danken Ihnen für den Hinweis.

In diesem Zusammenhang bin ich auch erstaunt darüber, dass nicht auch dargestellt wird, welche Grundlagen in Augsburg zur Verbesserungen des Klimaschutzes in den letzten Jahren geschaffen wurden.

Ist das die Aufgabe einer Pressemitteilung des Klimacamps? Wir begreifen uns als Korrektiv, das die Öffentlichkeit über die unzureichenden Maßnahmen seitens der Regierungen aufklärt. Bürger*innen, die nicht die Zeit haben, sich tiefer mit der Materie zu beschäftigen, haben das Gefühl, dass die Regierungen Klimagerechtigkeit schon mehr oder weniger auf dem Schirm hätten und angemessen verfolgen würden. Dies ist natürlich nicht der Fall, weder Deutschland noch Augsburg befinden sich auf einem pariskompatiblen Reduktionspfad.

Mit „pariskompatibel“ meinen wir dabei immer: geeignet, um mit mindestens einer ⅔-Wahrscheinlichkeit die Erdaufheizung auf 1,5 Grad zu beschränken.

Ich stehe dazu und werde mich weiter dafür einsetzen,

  • dass die neuen Klimaschutzziele der Stadt Augsburg eingehalten werden (Festlegung des CO₂-Restbudgets auf 9,7 Mio. Tonnen, wie vom Klimabeirat empfohlen, wird dem Umweltausschuss am kommenden Montag als Beschlussempfehlung vorgelegt, siehe: Vorlage (augsburg.de)). 

Wir sind sehr glücklich, dass das Budget im Umweltausschuss bestätigt wurde. Als wir unsere 200-Tages-Pressemitteilung verfassten, waren wir uns dessen nicht sicher. Nun steht immer noch die Bestätigung im Stadtrat aus. Nachdem Frau Weber sich in einem BR-Interview aber kürzlich dafür lobte, mit den 9,7 Millionen Tonnen sogar unsere Forderung von 11 Millionen Tonnen zu unterbieten, sind wir diesbezüglich optimistisch. Dies ist aber eine falsche Aussage der Oberbürgermeisterin. Frau Weber unterschlug dabei nämlich, dass beide Zahlen von uns stammten und die größere Zahl noch auf das Jahr 2020 bezogen war.

Im Übrigen möchten wir an dieser Stelle auch das Budget von 9,7 Millionen Tonnen noch mal in aller Deutlichkeit kritisieren, obwohl die Zahl von uns selbst als realistisches und mehrheitsfähiges Ziel genannt wurde. Dieses zu groß angesetzte Budget negiert unsere historische Verantwortung, indem es die überdurchschnittlichen Emissionen Augsburgs seit Beginn der Industrialisierung bewusst unterschlägt. Zudem bleiben Kippelemente wie der tauende Permafrostboden in der sibirischen Tundra, der momentan noch Methan am Entweichen hindert, unberücksichtigt. Zu guter Letzt basiert unsere Rechnung auf dem IPCC-Bericht aus dem Jahr 2018. Dieser ist weichgewaschen, da er im Konsensprinzip verabschiedet wurde und auch Länder wie Saudi-Arabien, deren Wirtschaft vom Export fossiler Brennstoffe maßgeblich abhängt, ihre Zustimmung ausdrücken mussten. Aktuelle europäische Studien geben viel kleinere Restbudgetmengen an und auch der bald erscheinende nächste IPCC-Bericht wird von einem sehr viel kleineren Budget ausgehen.

Stadtpolitik und Stadtverwaltung werden die beschlossenen Einzelpunkte des Sofortprogramms so schnell wie möglich auf den Weg bringen und umsetzen. Damit dies mit der nötigen Gründlichkeit und demokratischen Legitimation geschehen kann - einzelne Maßnahmen müssen in den zuständigen Ausschüssen des Stadtrats diskutiert und beschlossen werden -, braucht es Zeit. Ich bitte darum, uns diese zuzugestehen.

Es sind nicht wir Klimagerechtigkeitsaktivist*innen, die diesen Zeitdruck herstellen, und „wir“ sind dementsprechend auch nicht in der Position, irgendwem Zeit zuzugestehen! Wir stützen uns auf die wissenschaftliche Erkenntnis, dass die Beschränkung der Erdaufheizung auf 1,5 Grad notwendig ist, um die Lebensgrundlage von uns Menschen sowie anderen Tieren und Pflanzen zu sichern.

Ich werde diese Prozesse so effizient wie möglich gestalten. 

Vielen Dank! Wir können den Druck, dem Sie und andere Politiker*innen ausgesetzt sind, nur erahnen.  Dennoch unsere große Bitte an Sie: Bleiben Sie aktiv, werden Sie noch mutiger und aktivieren Sie auch andere Politiker*innen, die sich momentan noch nicht aus der Deckung trauen. Die Zukunft Augsburgs und dadurch auch indirekt Deutschlands und der Welt liegen in den Händen der Politiker*innen. Seien Sie mutig und helfen Sie, uns allen eine gute Zukunft zu bauen.

Deshalb hoffe ich auch auf die Unterstützung und Solidarität des Klimacamps und der FFF Augsburg für den beschlossenen und noch zu beschließenden Klimapfad mit seinen   festgelegten und noch festzulegenden Einzelmaßnahmen. 

Für jedes Engagement, explizit auch Ihres, das uns in Richtung einer klimagerechten Zukunft bringt, empfinden wir aufrichtige Wertschätzung. Dabei ist solidarische Kritik aber nötig, wenn das Handeln nicht ausreicht, auch wenn es ein Schritt nach vorne ist. Eine wichtige Rolle von uns als Bewegung sehen wir darin, gesellschaftliche Mehrheiten für konkrete Klimagerechtigkeitsmaßnahmen zu schaffen. Das allgemeine Ziel, Deutschland sozial-ökologisch zu transformieren, genießt ja schon seit langem breite Bevölkerungszustimmung. Deshalb ist es wichtig, in unseren jeweiligen verschiedenen Rollen kritisch zusammenzuarbeiten.

Viele Grüße
Ihre Aktivist*innen vom Augsburger Klimacamp