Pressemitteilung von Augsburger Verkehrswendeaktivist*innen am 17.5.2022

Nach Verkehrsunfall: Aktivist*innen sperren als Notmaßnahme Hallstraße vor dem Holbein-Gymnasium

Nachdem ein Auto eine Schüler anfuhr: Aktivist*innen sperren als Notmaßnahme Hallstraße vor dem Holbein-Gymnasium und fordern autofreie Zonen rund um Schulen – „Die Zeit des ungezügelten Autoverkehrs in Schulstraßen ist vorbei“

Am gestrigen Montag (16.5.) wurde in der Hallstraße vor dem Augsburger Holbein-Gymnasium ein Schüler von einem Auto angefahren. Als Notmaßnahme ergriffen die unabhängigen Aktivist*innen hinter dem Augsburger Verkehrswendeplan am heutigen Dienstag (17.5.) das Versammlungsrecht, um einen Modellversuch durchzusetzen: Für die Zeitdauer der ersten Pause des Holbein-Gymnasiums (9:30 Uhr bis 9:50 Uhr) wird die Hallstraße durch eine Demonstration autofrei.

Eine solche fand auch schon vergangenen Freitag (13.5.2022) statt, damals als „fröhlicher Versuch einer gelebten und greifbaren Verkehrsutopie“, so Organisator Florian Lenz (21). „Heute war es dagegen eine Notmaßnahme als Mahnung, um weitere Unfälle zu verhindern und um aufzuzeigen, dass eine Sperrung der Hallstraße für Autos möglich und notwendig ist.“ Zwar sei jeder Verkehrsunfall einzigartig und Produkt verschiedener Faktoren, doch trage Augsburgs autozentrierte Verkehrsstruktur die größte Schuld. Diese begünstigte Unfälle systematisch und erschwere es, unfallfrei von A nach zu B kommen.

„Die Zeit des ungezügelten Autoverkehrs in Schulstraßen ist vorbei“, erklärt Ute Grathwohl (49), die sich beim Verkehrswendeplan insbesondere zum Thema sichere Schulwege einbrachte. „Als Mutter ist mir dieses Thema ein besonderes Herzensanliegen.“ Auch bei der Roten-Tor-Schule kam es erst letzte Woche zu einem Unfall, bei dem ein Grundschüler vor der Schule von einem Auto erfasst und verletzt wurde. Die Aktivist*innen kündigten an, fortan regelmäßig Schulstraßen mittels Versammlungsrecht temporär autofrei umzugestalten. „Dazu ermächtigen wir auch die Schüler*innen selbst durch Demoanmelde-Workshops. Solange die Stadt nicht die Mobilitätsfreiheit erhöht und einseitig das Partikularinteresse Auto fördert, bleibt Verkehrswende Handarbeit“, erklärt Grathwohl.

Sie bezieht sich damit auch auf die seit Jahren kontinuierlich ansteigenden Autozahlen in Augsburg [1]. Vor allem die für Fußgänger*innen mit geringer Körpergröße - klassischerweise Kinder im Kita- und Schulalter - besonders gefährlichen großen SUV sind in immer größerer Zahl auf den Straßen unterwegs. „Hier wäre die Politik gefragt, durch einen günstigen und ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr attraktive Alternativen zu schaffen.“ Die Stadt sei dabei in der Pflicht, öffentlichkeitswirksam entsprechende Fördermittel bei Bund und Land einzufordern, sowie übergangsweise von Augsburgs Unternehmen eine Nahverkehrsabgabe zu erheben. „Das ist nur fair, schließlich profitieren unsere Unternehmen von einer guten Mobilität ihrer Kund*innen und Beschäftigen.“

[1] https://www.augsburg.de/fileadmin/user_upload/buergerservice_rathaus/rathaus/statisiken_und_geodaten/statistiken/2020Jahrbuch_Internet.pdf, Abschnitt 7.02

ÜBER DEN VERKEHRSWENDEPLAN

Der Verkehrswendeplan ist der erste umfassende Konzeptentwurf für eine Umgestaltung des öffentlichen Raums im Sinne einer Verkehrswende. Neben fünf übergeordneten Zielen formuliert er zahlreiche konkrete Diskussionsvorschläge für Augsburgs Straßenraum.

Ausführliche Homepage zum Verkehrswendeplan:
https://www.verkehrswende-augsburg.de

Flyer zum Verkehrswendeplan (1. Auflage, Stand Mai 2022):
https://www.verkehrswende-augsburg.de/assets/Flyer%20Verkehrswendeplan%20Augsburg.pdf

ÜBER DAS KONZEPT DER NAHVERKEHRSABGABE (Quelle: https://projektwerkstatt.de/index.php?domain_id=40&p=14668)

Bei der Nahverkehrsabgabe (versement transport) wird die französische Taxe Versement de Transport (VT) als Vorbild genommen, die Kommunen ab 20.000 Einwohnern zweckgebunden zur ÖPNV-Finanzierung erheben können. Das Steueraufkommen kann investiv und konsumtiv verwendet werden. Die französische Nahverkehrsabgabe ist von Arbeitgebern mit mehr als zehn Mitarbeitern und vom Einzelhandel als Nutznießer des ÖPNV-Angebots zu entrichten. Die Nahverkehrsabgabe ist an die Lohnsumme gekoppelt und der Steuer-Höchstsatz orientiert sich an der Einwohnerzahl der Kommune.

  • Abgaben entweder pauschal für alle Gewerbetreibenden, die vom kostenlosen Personenverkehr profitieren (Handel, Dienstleister, Hotels, Gaststätten, Touristik usw.) oder speziell für die Anlieger an Linien, wenn Haltestellen z.B. an öffentlichen Einrichtungen, Geschäften und anderen Vielfachzielen eingerichtet werden. So wird in Frankreich der kostenlose Nahverkehr finanziert. Dafür nötig ist eine Ermächtigung für Kommunen, solche Nahverkehrsabgaben erheben zu können.

  • Integration bisheriger Kund*innen- und Sonderlinien in die Freifahrnetze. So bringen z.B. im ländlichen Bereich Supermärkte ihre Kund*innen 1-2x pro Woche von den Dörfern zu ihrem Laden. Solche Linien können in den Nulltarifs-Fahrplan integriert und der Handel an den Kosten beteiligt werden.